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Nicht nur die Zeit ist relativ

Nicht nur die Zeit ist relativ, auch der Blick auf unsere Umgebung, und dadurch wiederum arbeiten Relativitäten so zusammen, dass, möglicherweise, gar nichts mehr stimmt. Doch selbst das ist zweifelhaft, denn „was stimmt“ ist ja auch nur eine Vermutung, eine Theorie.

 

Ich war mein ganzes Leben lang gezwungen, Fakten zu lernen, die ich insgeheim anzweifelte: Es begann mit solchen Sachen wie dem Weihnachtsmann, dem Osterhasen und dem Klapperstorch.
Noch bevor ich wissenschaftliche Beweise für deren Nicht-Existenz erhielt, sprachen eine Menge logischer Erwägungen dagegen.
Meine eigenen Theorien, basierend auf mangelhaften Informationen, hielten der Realität auch nicht stand.
Spätestens im Alter von ca. 11 Jahren wurde meine Theorie, Kinder würden wie eine Infektion über Küsse er- bzw. gezeugt, durch die Aufklärung mittels eines besser informierten Mitschülers ad absurdum deklariert.
Die Schulzeit brachte mir als Asperger-Autisten eine Menge Probleme, war ich doch gezwungen, Theorien auswendig zu lernen und zu rezitieren, die ich nicht wirklich nachvollziehen und glauben konnte, und die sich oft später tatsächlich als Humbug erwiesen.
Viele Hoffnungen, Träume und Überzeugungen mußte ich nach und nach aufgeben, denn das Leben spielte einfach völlig anders.

 

Erst als ich den Punkt erreichte, an dem mein Glaube und mein Vertrauen durch meine Umgebung grundlegend und praktisch völlig zerstört waren und ich keinen Sinn im Weiterleben mehr erkannte, begegnete ich plötzlich einer Offenbarung, die ich nicht mehr für möglich gehalten hatte:
Wahrer, ehrlicher Liebe.
Die Ehrlichkeit, der ich plötzlich gegenüber stand, eine klare, unverfälschte, unschuldige Offenheit und Ehrlichkeit einer Person, die offensichtlich nicht in der Lage war zu lügen, leuchtete wie ein Feuer am Horizont meiner zum Untergang verurteilten Welt.
Ich lernte, anders zu sehen, ohne die angelernten Filter unserer sogenannten Zivilisation.
Ich lernte, meine Gefühle, meine Sinne wieder zu gebrauchen.
Ich lernte auch, dass ich liebenswert bin, und dass lieben keine Kraft kostet, sondern im Gegenteil Kraft gibt.
Ich zweifele nun um so mehr angebliche Vollkommenheit durch perfekte (definiert von wem, bitte?!?) Formen an, finde aber dafür eine befriedigende (und dadurch für mich persönlich perfekte)Sicht der Dinge, indem ich Alles betrachte, als sähe ich es zum ersten Mal.

 

Denn Zeit ist relativ, und Erinnerungen sind Vergangenheit, unerreichbar für den steuerwilligen Narzissten, und somit ohne speziellen Wert für mich.
Ich verliebe mich in meine Frau jeden Morgen neu, und das reicht mir als Kontiunität völlig.
Ich sehe auf das Foto, und die krummen Linien erscheinen mir plötzlich ehrlich. Und, was soll’s, ich kann damit leben.
So oder so.

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